Manfred Stahnke

*  30. Oktober 1951

von Annette Kreutziger-Herr und Peter Niklas Wilson

Essay

»Mein Denkbild […] bewegt sich in Richtung eines ›altgriechischen Mittelalterjazz‹, der geprägt ist durch die lineare Polymetrik der Hohen Anden.« Was Manfred Stahnke im Partiturvorwort seines Trios Harbor Town Love at Milleniumʼs End (für Saxophon, präpariertes Klavier und Schlagzeug, 1994) schreibt, mag zunächst wie das ins Groteske überspitzte Programm eines überdrehten Postmodernisten anmuten, der ein wahlloses Potpourri der Musiken aller Länder, Zeiten und Genres propagiert. Ein kriterienloser Eklektizist ist Manfred Stahnke indes gewiß nicht; in seinem Komponieren zielt er nicht auf Stilpluralismus, sondern auf eine neue, »dritte« Qualität, die, so hofft Stahnke, aus dem Zusammenwirken der so krass heterogenen Einflüsse resultieren möge. Und ungeachtet seiner scheinbaren Absurdität benennt Stahnkes Diktum doch akkurat einige der vielen, regional wie funktional so verschiedenen Musiken, die in seinem Komponieren Spuren hinterlassen haben – Spuren nicht im Sinn von direkten Zitaten (die Stahnke kaum je verwendet), sondern von stilistischen Allusionen, musikalischen Denkmustern und, entscheidend, im Sinne jener ganzheitlichen Haltung des Musikmachens, die Stahnke in der arbeitsteiligen europäischen Kunstmusik schmerzlich vermißt. Die »ungeordnete, gefährdete Einheit der Menschen mit ihrem Tun«, von der Stahnke in besagtem Partiturvorwort spricht, eine Einheit, wie er sie ...